Ferdinand von Schirach – Schuld
Won’t Be Long: Read a collection of short stories or essays.
Ein Internatsschüler wird fast zu Tode gefoltert. Eine junge Frau wird jahrelang von ihrem Ehemann gequält. Ein Mann wird wegen Kindesmissbrauchs angeklagt.
Aristoteles sagte einst: Die Dinge sind, wie sie sind. Doch ist dies tatsächlich immer der Fall? Wann kann man sagen, dass ein Mensch wirklich schuldig ist? Und was genau ist eigentlich die Schuld? Wo wird die Grenze zwischen Schuld und Unschuld gezogen? Es ist ein Diskurs, der so alt ist wie die Menschheit selbst.
In 15 fesselnden Kurzgeschichten regt Ferdinand von Schirach zum Nachdenken über das deutsche Rechtssystem an. Ohne dass es einem als Leser sofort bewusst wird, positioniert man sich. Hinzu kommt, dass einem nicht selten, angesichts der beschriebenen menschlichen Abgründe, der Atem stockt. Fast alle dargestellten Fälle haben absolut unerwartete Verläufe, psychische Veränderungen der handelnden Personen und eine unbeschreibliche Brutalität gemein. Schockierend dabei ist, dass die einzelnen Kurzgeschichten schlicht und einfach der Realität entstammen.
Ferdinand von Schirach ist einer der bekanntesten deutschen Strafverteidiger und erzählt auch in seinem zweiten Buch, das 2010 im Piper Verlag erschienen ist, von besonderen Fällen, mit denen er in seiner Karriere konfrontiert wurde. Jeder Fall basiert auf wahren Erlebnissen seiner Arbeit als Strafverteidiger. Seit 2015 dient das Werk zudem als Grundlage für die ZDF-Krimireihe „SCHULD nach Ferdinand von Schirach”. Wie in seinem äußerst erfolgreichen Debüt „Verbrechen“ kommt auch bei „Schuld“ das Ende nicht selten so, wie man es sich vorgestellt hat: Täter sind keine Täter, Opfer keine Opfer. Schirach bewertet dabei keinesfalls die Frage nach der Schuld. Vielmehr stellt er dar, dass die Schuld nicht immer eindeutig ist. Je mehr Kurzgeschichten man liest, desto mehr stellt man seine eigene Definition von Gut und Böse in Frage.
Auffällig ist Schirachs nüchterner und sachlicher Schreibstil. Es reihen sich kurze, knappe Sätze aneinander, und doch wird alles Wichtige gesagt. Gnadenlos präzise in der Beobachtung und brutal in der Bedeutung beschreibt Schirach seine Erlebnisse, meistens mit einer Pointe und einem gewissen Maß an Humor. Dieser Schreibstil stellt einen gelungenen Kontrast zu den meist sehr emotionalen Fällen dar.
Einige der Fälle wirken in „Schuld“ aber leider nicht so authentisch wie in „Verbrechen“. Es fehlt ein wenig das Menschliche in den Geschichten. In „Verbrechen“ kann man als Leser oft ein tiefes Mitleid mit den beschriebenen Menschen empfinden, egal ob es sich um Täter oder Opfer handelt und was sie getan oder eben nicht getan haben. Dies ist bei den Kurzgeschichten in „Schuld“ nicht immer der Fall.
Schirach schafft es aber auch in diesem Werk wieder, dem Leser einen Spiegel vorzuhalten und die Abgründe der Menschheit aufzuzeigen.
Habt ihr schon mal über den Begriff der Schuld nachgedacht? Nach diesem Buch werdet ihr, völlig egal wie euer Bild vorher war, ein anderes haben.
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