Olumide Popoola – When We Speak of Nothing
Karl ist ein Läufer. Nicht so sehr, wenn er und sein bester Freund Abu mal wieder von den Jungs aus der Londoner Nachbarschaft verprügelt werden – dann schaltet er einfach ab und lässt es über sich ergehen. Aber wann immer der Siebzehnjährige seinen Kopf frei kriegen muss, wenn seine Probleme ihm zu viel werden, geht er laufen. Da er anschließend selten nach Hause zurückkehrt, sondern für gewöhnlich bei Abu vor der Tür steht und bei ihm übernachtet, bezeichnet Godfrey, der Sozialarbeiter, der Karl betreut, diese nächtlichen Läufe als „weglaufen”, obwohl sowohl Godfrey als auch Karls Mutter Rebecca wissen, wohin er läuft und Abus Eltern Karl längst als weiteren Sohn in die Familie aufgenommen haben.
Im Sommer 2011 erfährt Karl durch Zufall von der Existenz seines nigerianischen Vaters. Ohne das Wissen der Mutter, doch mit zähneknirschendem Einverständnis Godfreys, reist Karl nach Nigeria, um seinen Vater kennenzulernen. Dieser ist bei Karls Ankunft jedoch verschwunden und während Karls Onkel versucht, ihn aufzuspüren, freundet Karl sich mit einigen mehr oder weniger gleichaltrigen Umweltaktivisten an und genießt es, das Land seines Vaters kennenzulernen und endlich mal er selbst sein zu können, ohne ständig Prügel zu kassieren. Aus der eigentlich geplanten Rückkehr nach London zwei Wochen später wird nichts – Karl entzieht sich Godfreys Anrufen und wird auch für Abu immer schwieriger erreichbar. Dieser ist in London mitten in die Unruhen von England geraten und bekommt immer mehr Schwierigkeiten. Als diese eskalieren, kehrt Karl schließlich doch nach Hause zurück, um seinem Freund beizustehen.
Durch Abus und Karls Augen erfährt der Leser, was die Jugendlichen von Tottenham im Jahr 2011 bewegt. Während Abu seinen Fokus auf die soziale Ungleichheit und Ungerechtigkeit in England legt, erfährt Karl in Nigeria von der dramatischen Umweltzerstörung des Nigerdeltas durch den Ölkonzern Shell – ein Thema, das es in Europa eher selten in die Medien schafft. Obwohl dies nicht alle Themen sind, die die in London lebende deutsch-nigerianische Autorin Olumide Popoola anspricht, wirkt der Roman weder überladen, noch hat man das Gefühl, dass die Themen nicht ausreichend behandelt werden. Vielmehr stellen sie interessante Einstiegsinformationen dar, auf deren Grundlage man bei Interesse weiter recherchieren kann.
Geschrieben ist das Buch in einer Mischung aus britischem Englisch, Londoner Jugendslang und nigerianischem Pidgin-Englisch – je nach Situation. Besonders das Pidgin ist nicht immer ganz leicht zu verstehen, doch da der Inhalt sich aus dem Kontext erschließen lässt, ist eine 1:1-Übersetzung nicht unbedingt erforderlich.
When We Speak of Nothing ist eines dieser Bücher, die man am liebsten in einem Rutsch durchlesen, deren Ende man aber niemals erreichen möchte. Die übrigen Bücher der Autorin wandern direkt auf die Wunschliste.
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