Haruki Murakami – Die unheimliche Bibliothek
Tongue-tied: Read a translated book.
„Und wenn ich etwas nicht wusste, ging ich immer sofort in die Stadtbücherei, um es herauszufinden. Schon von klein auf.”
Ein Junge bringt am Abend seine geliehenen Bücher zurück zur Stadtbücherei und entschließt sich spontan, neue Literatur zu einem Thema, das ihn bereits den gesamten Tag über beschäftigt, zu entleihen. Bei der Recherche gerät er an einen seltsamen Bibliothekar, der den Jungen in ein düsteres Labyrinth unterhalb der Bibliothek führt und dort angekettet in einem Verlies einsperrt. Dort soll er einen Monat lang verweilen und sich den Inhalt der ausgesuchten Bücher einprägen, um anschließend eine schwierige Prüfung absolvieren zu können. Versorgt wird der Junge von einem hübschen, stummen Mädchen und einem Jungen in einem Schafskostüm. Sie fassen Vertrauen zueinander und beschließen, gemeinsam zu fliehen.
„Die unheimliche Bibliothek” von Haruki Murakami – im japanischen Original “Fushigi na Toshokan” – erschien in der deutschen Übersetzung erstmals 2013 im Dumont Verlag.
Einbildung oder Realität? Murakami legt dem Leser zunächst eine alltägliche Situation dar, was dazu führt, dass man sich gut in die Handlung eindenken und einfühlen kann. Hierzu trägt auch der einfach gehaltene, schnörkellose Schreibstil bei. Bereits nach kurzer Zeit weicht diese Klarheit aber einer Ratlosigkeit und man gelangt an einen Punkt, an dem nur schwer zwischen Realität und Einbildung unterschieden werden kann. Dabei wird auch am Ende nichts wirklich aufgeklärt und dem Leser anhand zahlreicher Elemente eine interpretatorische Freiheit gelassen.
„War all das wirklich geschehen? Ehrlich gesagt, ich wusste es nicht.”
Hat die Begegnung mit den einzelnen skurrilen Charakteren eine besondere Bedeutung? Steht das Erlebte in der Bibliothek für ein Art Machtlosigkeit, eine nicht selbst beherrschbare Situation? Ist das Verlies ein Symbol für ein dunkles Kapitel im Leben des Jungen? Für mich sind all diese Fragen mit einem Ja zu beantworten. Der Inhalt der Geschichte und deren einzelne Elemente spiegeln Angst und Verzweiflung wider. Es ist eine Geschichte über Verlust, Einsamkeit, aber auch Hoffnung, mit der Frage, wie wir unserer größten Angst entgegentreten können.
Murakamis „Die unheimliche Bibliothek” ist eine skurrile, alptraumartige Geschichte, die zum Nachdenken anregt. Unterstützt wird die Atmosphäre durch düstere, comicartige Illustrationen von Kat Menschik. Es ist ein etwas anderes Leseerlebnis, das – wenn man sich erst einmal darauf einlässt und interpretatorischen Elementen gegenüber nicht abgeneigt ist – zu begeistern vermag.
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