Ferdinand von Schirach – Der Fall Collini
The book is better: Read a book being adapted for TV or film this year.
„Genau das meine ich, Leinen: Zeitgeist. Ich glaube an die Gesetze und Sie glauben an die Gesellschaft. Wir werden sehen, wer am Ende recht behält.”
Scheinbar grundlos ermordet der Italiener Fabrizio Collini auf brutale Art und Weise einen angesehenen deutschen Industriellen in einem Berliner Luxushotel. Der junge Anwalt Caspar Leinen bekommt die Pflichtverteidigung in diesem Fall zugewiesen. Als er erfährt, dass es sich bei dem Opfer um den Großvater seines besten Freundes, welcher wie ein Vater für ihn war, handelt, zieht es ihm zunächst den Boden unter den Füßen weg. Leinen bleibt aber aus nachvollziehbar beschriebenen Gründen Collinis Verteidiger und stellt sich immer wieder die Frage nach dem Motiv. Verzweifelt versucht er die Tat zu verstehen, doch Collini schweigt beharrlich und so muss Leinen einen Mann verteidigen, der nicht verteidigt werden will. Die persönliche Beziehung zum Opfer und dessen Familie macht es zudem zu einem schmerzlichen Prozess für ihn. Schließlich stolpert er über Hinweise, die ihn weit hinaus über den Fall Collini bis hin zu einem dunklen Kapitel deutscher Rechtsgeschichte führen. Dabei kristallisiert sich vor allem eine Frage heraus: Wie sehr unterscheiden sich Recht und Gerechtigkeit?
Ferdinand von Schirach ist einer der bekanntesten deutschen Strafverteidiger und regt auch mit diesem Roman, der erstmals 2011 im Piper Verlag erschienen ist, seine Leser wieder zum Nachdenken an. Wie auch in seinen weiteren Werken setzt er sich intensiv mit der Schuldfrage auseinander. Zudem beäugt er in dieser Geschichte kritisch das deutsche Rechtssystem sowie die deutsche Rechtsprechung und stellt dabei Recht und Gerechtigkeit gegenüber.
Der Leser begleitet den jungen Anwalt Caspar Leinen, der erst seit drei Monaten Rechtsanwalt ist und seinem ersten Strafprozess gegenübersteht. Der Tathergang und der Täter stehen fest, das Motiv bleibt allerdings ein Rätsel. Auf eine spannende und fesselnde Art und Weise ziehen die Ereignisse den Leser in das Geschehen. Wie auch Caspar Leinen stellt man sich unentwegt die Frage, was den bis dahin unauffälligen Collini zu dieser Tat trieb. Der Leser bleibt auch unwissend, als Leinen ein Durchbruch bei seinen Recherchen gelingt, womit die Wendung während des Prozesses nur noch überraschender und erschütternder wirkt.
Schirachs Erzählstil ist dabei gewohnt nüchtern und sachlich. Es reihen sich kurze, knappe Sätze aneinander, und doch wird alles Wichtige gesagt. Ebenso vermag er mit diesem Stil detailliert Umgebungen zu beschreiben und äußerst realistisch das Vorgehen während des Prozesses oder auch Vorgängen wie einer Obduktion darzulegen.
Ferdinand von Schirach hat mit „Der Fall Collini“ ein dramatisches Justizdrama geschaffen, das nachwirkend beeindruckt. Wieder einmal hält er dem Leser einen Spiegel vor und zeigt die Abgründe der Menschheit auf. Obwohl der Roman relativ kurz ist, besitzt er eine enorme Wirkung und erschüttert an den richtigen Stellen. Dabei führt er dem Leser vor Augen, dass es unser aller Pflicht ist, sich immer für die Gerechtigkeit einzusetzen.
In diesem Jahr erschien die gleichnamige Verfilmung des Romans in den deutschen Kinos. Inhaltlich unterscheiden sich die Romanvorlage und die Verfilmung an vielen Stellen: Charaktere wurden hinzu- und umgeschrieben sowie Abläufe verändert. Der Kern der Geschichte und ihre Aussage bleiben zwar bestehen und der Film funktioniert für sich gesehen gut, allerdings reicht die Verfilmung für mich persönlich nicht an die Romanvorlage heran.
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